left_arrow_icon
zurück zur Übersicht

Willkommen!

#essprichtwerspricht

26.1.2021

Gestern erschienen!

Wer kennt sie nicht, die Frage, die, irgendwann vielleicht aufkommt: Bist du ein Kind der Liebe? Wie haben es deine Eltern miteinander getrieben, stürmisch, leidenschaftlich? War es romantisch, warst du geplant oder wollte es der Zufall, dass du jetzt da bist? Kaum jemand kennt die Geschichte seiner Zeugung. Diese Geschichten sind nicht zu verifizieren, sie sind so subjektiv, ja, einzigartig und geheimnisvoll, wie es die Natur scheinbar vorgesehen hat.

Wie unbedeutend doch früher diese Geschichten gewesen sein mochten als Frauen, während ihrer fruchtbaren Jahre von einer Schwangerschaft in die nächste gedrängt wurden, in jenen Zeiten also, wo sich womöglich die Zeugungsakte so sehr glichen, sodass der eine vom anderen nicht zu unterscheiden gewesen war. Wo die Geburt eines Kindes nicht selten der finanziellen Absicherung im Alter galt. Wo man als Frau geächtet wurde, wenn man nicht gebären konnte, obwohl die Misere vielleicht an der Zeugungsunfähigkeit des Mannes lag. Oder Frau ein ungewolltes Kind zur Welt bringen musste. Wo das Kirchliche noch an jedem Esstisch mitmischte. Und später in den Sechzigern dann: die Antibabypille.

»Und sag, Schwesterherz, was hättet ihr Frauen getan, wenn sich die Pille nicht durchgesetzt hätte?«

Ich sehe Andreas tief in die Augen. Trotz seines engmaschigen Zeitmanagements schaffen wir es dienstags immer noch zum gemeinsamen Mittagessen in die Stadt. Vor einer Minute teilte er mir mit, dass er, wie es aussieht, auf seine alten Tage, schließlich zähle er ja schon zu den Ü50igern, doch noch Vater werden würde. Es habe geklappt, in Spanien. Eine Eizellenspende.

»Die Pille ist doch was ganz anderes«, sage ich, weil er die Fortschritte der Reproduktionsmedizin mit der Einführung der Antibabypille vergleicht. »Christine wird nächstes Jahr achtundvierzig.«

»Ach was? Aber sie fühlt sich fit, ja, fitter als mit fünf-unddreißig. Sie raucht nicht mehr, trinkt kaum was und trainiert im Studio, Spinning und Pilates. Ihre Blutwerte sind top.«

»Und ihr Job? Ohne den kann sie doch gar nicht. Niemals wird sie ihre Position aufgeben.«

»Doch. Da täuschst du dich. Chefredakteurin ist nicht mehr das, was es einmal war. Sie hat die Schnauze voll, der Druck, die sinkenden Verkaufszahlen, die jungen Mitarbeiter, die alles besser wissen. Und seien wir mal ehrlich, spätestens als der Verlag die Onlineredaktion aufgebaut hat, hätte sie gehen müssen. Sie will es sich nicht eingestehen, aber sie ist dann doch, letztlich, ja, vom alten Schlag.«

Noch bevor ich weitere Fragen stellen kann, winkt Andreas dem Kellner.

»Übrigens, wir sind in der vierzehnten Woche«, sagt er, übers ganze Gesicht strahlend, während er zahlt. Selbstverständlich geht er davon aus, dass ich Patentante werde, denn schließlich ist er der Patenonkel meines Sohnes.

Womöglich bin ich auch vom alten Schlag. Warum nur musste es ein fremdes Ei sein? Hätten sie nicht ein Kind zur Pflege nehmen können? Oder eine Adoption?

»Keine Chance«, hatte Andreas gesagt, »wir sind zu alt für die Adoption eines Neugeborenen und Christine konnte sich nur ein Baby vorstellen.«

(aus: Claudia Klischat: "Think Tank - Familienleben grenzenlos",in: "Kinderkriegen - Reproduktion reloaded", Hg.: Barbara Peveling/Nikola Richter, Nautilus Flugschrift, Hamburg 2021)

18.1.2021

Aus der Kategorie Abgeschlossene Arbeit:

ES WAR, WIE DIE Wettervorhersage gemeldet hatte, der letzte warme Tag des Jahres. Einige Hausbewohner hatten die Gelegenheit genutzt und die Gartengeräte aus dem Keller geholt. Es war noch zu früh, die Pflanzen winterfest zu machen, aber die Spuren des Sommers wollten beseitigt, vermüllte Ecken in Ordnung gebracht, zu kompakten Schichten getretenes Laub angehoben und entfernt werden. Der Rasen oder das, was von ihm übrig war, wurde mit einem Rechen geharkt, da und dort ein Fixerbesteck, leere Flaschen oder andere Überreste von Substanzgebrauch weggeräumt. D. schichtete zitronenfarbene Mauerziegel, die jemand bei einem Baujob geschenkt und umsonst ins Hausgeliefert bekommen hatte, aus einem Anhänger neben dem Terrassenvorsprung auf. Ich reichte an, während ich das Gesicht in die Sonne streckte, die bald hinter dem Dach der Turnhalle der benachbarten Grundschule verschwinden würde.

Der Garten, ein überschaubares Areal mit ein paar Bäumen und einem Hochbeet, wurde auf der einen Seite durch ein mehr oder weniger inoffizielles Gartentor, auf der anderen Seite durch das Haus selbst und einen dahinterliegenden, regulären Eingang zum Grundstück begrenzt. Verließ man den Garten durch den unauffälligen Durchgang, ein verrostetes Tor, gelangte man durch eine schmale asphaltierte Häusergasse zur Hauptstraße des Viertels. Diese Möglichkeit wurde sowohl von den Hausbewohnern als auch von der Nachbarschaft genutzt, die etwa bei uns einbogen, um sich das Stück Weg um die nächste Straßenecke zu sparen. Mit seinen sieben hohen Pappeln, einer Bank zum Verweilen und der schmucken Fassade des denkmalgeschützten Hauses, griff man auf die Abkürzung durch den Garten zurück, zog er tagsüber auch Hundebesitzer und einige Arbeitnehmer aus der Nähe an, die zur U-Bahn eilten, war aber auch Ort für nächtliche Umschlaggeschäfte verschiedener Art oder bot Platz für Liebespaare und diskreten Drogenkonsum. Es gab den im Plenum mehr oder weniger ausgesprochenen Deal, diese Gewohnheiten, verliefen sie in erträglichem Rahmen, laufen zu lassen.

D., die sich gerade eine Pause vom Ziegelschichten genommen und sich zu mir gesetzt hatte, erinnerte sich lachend an die Episode, als sie ausnahmsweise einmal habe »durchgreifen« müssen, wie sie sagte, um eine Schar kiffender Jugendlicher zu verscheuchen, die sich, lautstark und »Dope übelster Sorte« rauchend, stundenlang auf der Terrasse breitgemacht hatten.

»Ja, du hast dich wie ein veritabler Wachhund aufgeführt«, erinnerte ich mich, »und weißt du noch, wie die Schulkinder einmal am Zaun gestanden und uns gefragt haben, ob es bei uns spuken würde?«

(aus: Donata Rigg, DIE FACETTE, Roman, Textem Verlag, Hamburg 2020)

Datenschutzerklärung

Impressum

AGB